Rainer Bruno Zimmer


Neue Daseinsphilosophie

Sehen statt Denken


Das derzeit beste Wissen über das Dasein zur Fortschreibung


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Version 11, unlektoriert, Mai 2022

© Rainer Bruno Zimmer


Inhalt

Vorwort 5

Sein und Seiendes 7

Begriffe 7

Begriffe und Phänomene 8

Verschiedene Begriffe für gleiche Phänomene 8

Gleiche Begriffe für verschiedene Phänomene 8

Wahrnehmung und Gedankenwelt 9

Assoziationen 10

Zusammenhänge 11

Abläufe 11

Handeln 11

Verstehen 12

Intelligenz 12

Absichten 13

Denken als Handeln 14

Das einfache assoziative Denken 14

Das rationale Denken 14

Theorien 15

Wahrheit von nicht beweisbaren Theorien 1 16

Urvertrauen 16

Wahrheit von nicht beweisbaren Theorien 2 16

Die Welt ist mental 17

Sprache 17

Die wachsende Welt 18

Kollektivierung, Kultur, die objektive Welt 18

Das Dasein 20

Dasein ist kein Begriff 21

Die Rede vom Dasein 21

… als annähernd zeigende Rede 22

Die anderen Menschen 23

Die Dimensionalität des Daseins 23

Die Daseinshaltung 25

Resümee: Sehen statt Denken, Fortschreibung 26

Anhang – Ein Rückblick auf Sein und Zeit 27

Vorwort

Unser individuelles Denken definiert unsere individuelle Welt. Unser rationales, also bewahrheitetes relationales Denken definiert die objektive Welt. Was Menschen prinzipiell überhaupt denken können, definiert die Welt schlechthin.

Statt "unser Denken definiert" könnte man auch sagen: "unser Denken begrenzt". Das ist aber strittig, denn es sagt ja indirekt, dass jenseits der Grenze auch noch etwas sein könnte. Früher befassten sich die Menschen ernsthaft mit dem außerhalb aller dieser Horizonte Liegenden, dem Jenseitigen. Heute herrscht die Sicht vor, das Jenseits sei leer, die Welt sei alles. Ja, es wird sogar die Sicht vertreten, dass die objektive Welt alles sei; dass es nichts gäbe, das nicht vollständig rational, als Begriffsstruktur verstehbar sei.

Diese Sichten bestimmen und begrenzen unsere Wissenschaft und unsere Philosophie. Nur wenige ahnen oder sehen, dass die Wissenschaft damit Erforschbares, und die Philosophie Erkennbares verpassen könnten. Das sollte man doch besser auszuschließen versuchen.

Wie ist es nun also mit dem Jenseits?

Um einen Zugang zu finden, kann man zunächst einmal statt des religiös vorbelasteten Wortes "Jenseits" ein neutraleres verwenden, etwa "das Außerweltliche", "das Unbegreifliche/Unbegriffliche", oder "das Absolute". Das sind alles Synonyme, weil Begriffe und Begriffsstrukturen immer Gegenstände des Denkens also innerhalb der/einer Welt sind, und weil "absolut" genau heißt: nicht in Relation stehend, also nicht in Begriffsstrukturen fassbar, und damit übrigens auch nicht in prädikativen Aussagen.

Gibt es so etwas irgendwie?

Wer oder was nimmt das wahr, was uns individuell begegnet? Das "Ich", und zwar jeweils meins, nicht das eines anderen Menschen.

Aber das ist nicht mein "Ego" oder "Selbst", als das ich mich in der Welt erst definiere und dann so behaupten oder durchsetzen will. Auch nicht meine Psyche, deren Gefühle, Strebungen und Antriebe mir ja doch in der Innenwelt begegnen. Die Sinne? Die sind nur eine Kategorisierung dessen, was mir begegnet: ich teile das, was mir begegnet, ein in das, was einerseits von den einzelnen Sinnen und den Sinnen insgesamt, andererseits aus der Innenwahrnehmung z.B. der Körpergefühle oder der Gedanken kommt. Auch das Gehirn ist nicht mein Ich. Niemand nimmt sein eigenes Gehirn wahr, es ist ein Gedankenobjekt; und eine Wahrnehmungsinstanz darin, der das begegnet, was die anderen Teile des Gehirns ihr angeblich "vorspielen", ist nicht erfunden, geschweige denn bestätigt.

Nein, es ist alles maximal einfach und direkt: es ist nicht nichts, sondern es begegnet etwas, und zwar mir; aber dieses "mir" ist nicht definierbar. Alle Versuche, diese Wahrnehmungsinstanz in einer begrifflichen Struktur zu fassen, müssen scheitern.

Wer dies so sieht, für den ist aber auch der Versuch gescheitert, die These zu falsifizieren, dass es Jenseitiges, Außerweltliches, Absolutes nicht geben kann. Die Wahrnehmungs- instanz ist kein Begriff, also außerweltlich, aber sie ist nicht zu leugnen.

Das reicht als Anreiz, hier nun weiter zu suchen.

Diese Schrift läuft darauf hinaus, ausgehend von der Wahrnehmung, Kandidaten für Absolutes in den Blick zu nehmen und sie, weil sie ja relational ja nicht zu fassen sind, dann eben anders, nämlich so zu beschreiben oder zu umschreiben, dass der Leser sie möglichst auch in den Blick bekommt.

Anders gesagt, es soll mittels einer annähernd, assoziativ zeigenden Redeweise vorgeführt werden, was an unserem Dasein außer der Welt noch daran ist. Dies sehen kann im Prinzip jeder Mensch an sich selbst, indem er auf sein eigenes Dasein schaut. Weil man hier selbst sehen kann, sind diese Ergebnisse keine Esoterik, sondern hartes und dabei sehr ergiebiges und wertvolles Wissen.

Sein und Seiendes

Warum ist etwas und nicht nichts? Unmögliche Frage? Es ist einfach absolut so, und Absolutes kann man nicht in Relation setzen, und damit also auch nicht begründen.

Weiter unten werden wir sehen, dass man Absolutes immerhin "mit dem inneren Auge sehen" kann, und dann auch Anderen ggf. mit geeigneten Worten in diesem Sinne "in den Blick" bringen kann. Insofern ist die Wortfolge der Anfangsfrage passend, da sie tatsächlich auf das Absolute zeigt.

Sehen wir näher hin! Jeder weiß für sich: Ich bin im jetzigen Moment und mir begegnet etwas; im nächsten Moment begegnet mir wieder etwas, und so immer weiter. Dabei kann ich erkennen, wenn mir etwas begegnet, das mir schon in anderen Momenten begegnet ist, und darüber hinaus, dass mir immer wieder Gleiches begegnet. Andererseits kann ich auch Begegnendes als verschieden erkennen. Das dürfte jedem Menschen so gehen.

Wenn uns etwas zweimal oder immer wieder begegnet, dann ist die Auffassung, dass es jeweils dasselbe sei, unsere – mentale – Konstruktion. Dass das Gleiche uns zwischen den Begegnungen ebenfalls hätte begegnen können und auch künftig jeden Moment ebenfalls begegnen könnte, ist eine weitere mentale Konstruktion. Und dass es deshalb unabhängig von uns ein irgendwie durchgehaltenes Sein als ein Seiendes haben müsse, ist eine dritte mentale Konstruktion. Seiende und ihr Sein sind also mentale Konstruktionen, die nur davon abhängen, was wir als dasselbe wiedererkennen.

Im Grunde sagt der letzte Absatz: Sein und Seiendes sind nicht primär, sondern auf der Basis des Begegnenden zusätzlich konstruiert, und das einzelne Seiende ist jeweils nicht konstitutiv für das Dasein, wohl aber das Konstruieren des Seienden. Das Primäre ist, dass uns laufend etwas begegnet. Das ist absolut so, solange wir leben. Es ist das Wesen unseres Daseins. Dass nichts begegnet, ist dasselbe wie kein Dasein.


Begriffe

Aber wir hätten auch kein Dasein, wenn wir es nur irgendwie bloß hinnähmen, dass uns überhaupt etwas begegnet. Im Dasein inbegriffen ist, dass wir die von uns konstruierten Seienden "behalten", indem wir sie begreifen und uns merken, eben als – gegebenenfalls noch wortlose – Begriffe. Das erlaubt uns überhaupt erst das Wiedererkennen: Wenn uns das schon in einem Begriff behaltene Gleiche erneut begegnet, dann kommt uns sofort dieser Begriff in den Sinn, und das ist das (Wieder-) Erkennen.

Hier müssen wir nun noch genauer hinsehen. Was heißt "kommt in den Sinn"? Wenn wir sagen, dass uns etwas "begegnet", denken wir zunächst einmal, dass es uns "über die Sinne aus der Außenwelt" begegnet. Dass uns etwas "in den Sinn kommt", besagt aber ebenfalls, dass es uns begegnet, nämlich in unserer Innenwelt, genauer: in der Gedankenwelt. Begriffe sind rein mental. Sie begegnen uns nicht nur in dem Zusammenhang, dass wir Außenwelt wahrnehmen, sondern überhaupt, wenn wir erleben, z.B. auch wenn wir denken.

Dass wir eine Außenwelt und eine Innenwelt haben, jede separat, ist übrigens auch schon wieder unsere Konstruktion. Wir fassen das uns Begegnende in Bereiche zusammen, die wir als Teilwelten auffassen und auch weiter unterteilen. Zu unserer Innenwelt zählen wir

z.B. die innere Körper-Wahrnehmung (Körperhaltung, Wohlgefühl, Hunger, Schmerz), die Psyche (Motive, Antriebe, Gefühle, Stimmungen) und den "Geist": die mentale Welt (Gedanken, innere Bilder und "Filme", innere Sprache).


Begriffe und Phänomene

Was begegnet uns denn nun von der Außenwelt her: Begriffe oder etwas Anderes? Für Letzteres spricht einerseits, dass uns in der Außenwelt etwas begegnen kann, das wir nicht kennen, für das wir also (noch) gar keinen eigenen Begriff haben. Andererseits passiert es schon mal, dass wir uns bei einer Wahrnehmung in der Außenwelt täuschen, und das kann ja dann nicht an dem liegen, was uns begegnet ist: es kann uns nicht gleichzeitig begegnet und nicht begegnet sein.

Dies ist eine gedankliche Konstruktion. Wir konstruieren, dass das Wahrgenommene, der Begriff, und das ursprünglich von der Außenwelt her Kommende nicht dasselbe sind. Um uns im Weiteren sprachlich leichter zu tun, nennen wir das von der Außenwelt Kommende "Phänomen".

Ein Grundzug unseres Daseins kann allerdings nicht von einer Konstruktion abhängig sein. Unsere Frage, ob uns Begriffe oder Phänomene begegnen, ist also noch nicht beantwortet.


Verschiedene Begriffe für gleiche Phänomene

Begriffe und Phänomene sind aber wirklich zweierlei, denn wir können immer den mit dem Phänomen assoziierten Begriff durch einen besseren ersetzen, z.B. wenn wir etwas differenzieren lernen. In einem solchen Fall haben wir die verschiedenen Begriffe zeitlich nacheinander. Im Allgemeinen berücksichtigen wir jeglichen Kontext, um Begriffe zu differenzieren. Wenn wir das Gesicht eines gegenüber stehenden Menschen sehen, ist es

z.B. nicht dasselbe wie das Gesicht desselben Menschen als Porträt in einem Bilderrahmen in einer Ausstellung, und dies ist wiederum nicht dasselbe wie das Gesicht desselben Menschen, den man bei einer Party durch einen Rahmen schauen lässt, damit das Foto von ihm interessanter aussieht. Ein Bild ist nicht dasselbe wie das Abgebildete, und etwas in einem Rahmen ist nicht immer ein Bild.


Gleiche Begriffe für verschiedene Phänomene

Viel häufiger als gleiche Phänomene kontextabhängig in gleiche oder verschiedene Begriffe zu fassen, ordnen wir verschiedenen Phänomenen denselben Begriff zu. Ein einfaches Beispiel: Man geht einen Bürgersteig entlang und sieht eine Straßenlaterne: einen Mast mit einem Arm, der nach links zeigt. Man geht vorbei, dreht sich um, und da ist jetzt eine Straßenlaterne mit dem Arm nach rechts. Um zu konstruieren, dass das dieselbe Straßenlaterne ist, ist es offensichtlich erforderlich, dass man auch eine geeignete

Wichtige Zusammenhänge sind räumliche, zeitliche, Mengenzugehörigkeiten (Element von, Teilmenge von, Schnittmenge von, disjunkt zu u.a.m.), kontextuelle (gehört zu, gehört zwingend zu, charakterisiert), logische (folgt aus, hat zur Folge, dient zu).


Abläufe

Im zeitlichen Zusammenhang, von einem Moment zum Nächsten, kann uns zu einem Begriff oder Begriffsprofil der oder das nächste einfallen, zu dem wiederum der nächste, usw., und dann haben wir eine zeitliche Assoziationsfolge. Diese selbst kann uns auch wiederholt begegnen, woraufhin wir sie ebenfalls mit einem Begriff belegen, der für eben diesen wiederkehrenden Ablauf steht. Jedes Mal, wenn wir den Ablauf Ins-Büro-Fahren erleben, begegnen uns bestimmte Straßen, Kreuzungen, Ampeln, Parkplätze u.v.a.m., sowie unsere entsprechenden Aktionen, alle immer in derselben zeitlichen Reihenfolge. Und wenn das immer so ist, dann haben wir offenbar verstanden und ein bestätigtes Wissen davon, wie wir ins Büro fahren.

Der vorige Absatz legt zwei Fortsetzungen nahe, einerseits hinsichtlich des Themas Handeln, da das Ins-Büro-Fahren ja doch reichlich Handlungsabläufe erfordert, anderer- seits hinsichtlich der Themen Verstehen und Wissen. Beginnen wir bei Ersterem.


Handeln

Unser Körper bietet uns eine Menge an Bewegungsmöglichkeiten. Offenbar nehmen wir wahr, dass bestimmte Begriffsprofile in unserer Gedankenwelt mit der Innen- und Außenwahrnehmung von Bewegungen so assoziiert sind, dass sie letztere auslösen oder verhindern können. Das heißt nicht, dass alle Bewegungen auf diese Weise gesteuert würden, denn es gibt ja auch Reflexe und unbewusste Bewegungen, aber wir lernen, dass hinreichend gewichtete Begriffsprofile – hinreichend intensives, gezieltes Denken – effektiv mit anschließenden Handlungen assoziiert sein können.

Meistens lösen wir unsere Handlungen wie selbstverständlich durch assoziatives Denken aus. Uns begegnet, dass es regnet, und wir assoziieren das Aufmachen des Schirms, dazu die notwendigen Handgriffe des Auspackens und Aufspannens, gegebenenfalls auch einen Handlungsimpuls, und das geschieht dann. Wir können auch an eine Handlung denken, ohne sie auszulösen. Andererseits kann mit der Wahrnehmung oder dem Gedanken an eine plötzliche, akute Gefahr eine Handlung so fest assoziiert sein, dass sie unmittelbar, geradezu ohne unsere Kontrolle ausgelöst wird.

Zum Handeln gehört aber auch das mentale Handeln. Wir können auch Denkhandlungen auslösen, mit denen wir an etwas Bestimmtes denken, an etwas Anderes als das eben Bedachte. D.h. wir können unsere Aufmerksamkeit, unseren von dem einen Fokus weg zum nächsten lenken, und so mit unserer Aufmerksamkeit einen "Weg" zurücklegen, und diesen Weg wiederum mit einem Begriff belegen und mit diesem Begriff auch wieder abrufen.


Verstehen

Wir sind in einer Situation. Die Wahrnehmung liefert uns dazu das passende gewichtete Begriffsprofil: den gegenwärtigen Kontext. Wenn wir ihn schon erlebt haben und mehr oder weniger kennen, dann können wir, ggf. direkt und fest assoziieren, was uns als Nächstes begegnen wird, bzw. welche Handlungen wir auslösen müssen, um uns als Nächstes etwas begegnen zu lassen, auf das wir aus sind. Und wenn uns das im nächsten Moment tatsächlich begegnet, dann merken wir, dass wir richtig liegen, und für einen Moment oder auch einen ganzen Ablauf lang in Harmonie mit dem Begegnenden leben.

Unser Leben besteht daraus, dass uns allerlei begegnet, dass wir dazu aus unserem Repertoire begleitend Folgen von Assoziationsstrukturen einschließlich assoziierten Handlungen mitlaufen lassen, die im zeitlichen Verlauf mit dem Begegnenden harmonieren können. Insoweit sie tatsächlich harmonieren, verstehen wir das Begegnende. Die Gesamtheit alles so Verstandenen, d.h. der Assoziationsstrukturen, die wir so leben können, macht unsere – individuelle – Welt aus.


Intelligenz

Intelligenz ist Neu-Verstehen, d.h. neue Zusammenhänge wahrzunehmen, dazu passende Begriffe und Assoziationsstrukturen aufzubauen, und diese im tatsächlichen Erleben zu erproben, d.h. sie als bestätigt zu nehmen, wenn sie mit den erlebten Abläufen des Begegnenden harmonieren, und sie sich andernfalls als ungeeignet zu merken und der Abweichung vom Erwarteten nachzugehen, um die unerwarteten Abläufe ebenfalls neu zu verstehen.

Wir haben keine Kontrolle darüber, was wir wann von einem Moment auf den anderen neu verstehen, aber es ist uns dauerhaft immer wieder gegeben. Dies ist keine Behauptung, sondern ein Hinweis darauf, dass man versuchen kann, es bei sich selbst zu sehen.

Absichten

Wir können auf etwas aus sein und es erreichen, d.h. so handeln, dass es uns schließlich begegnet. Der einfache Fall ist, wie oben schon geschildert, dass wir in unseren Assoziationsfolgen Begriffsprofile haben, in denen Begriffe des Handelns, z.B. sich auf einen Stuhl zu setzen, so stark gewichtet sind, dass diese Handlungen effektiv ausgelöst werden – und wir uns auf den Stuhl setzen.

Absichten verfolgen wir generell, indem wir in den mitlaufenden Begriffsprofilen von vornherein Ziele, Pläne und Zwischenziele hinreichend stark gewichtet mitführen.

Die vorwegnehmenden Assoziationsvorgänge können unproblematisch sein. Wir kennen jeden einzelnen Schritt und die ganze Reihenfolge, wenn wir zum Einkaufen in ein Geschäft gehen und etwas Bestimmtes kaufen wollen. Wir wissen, was wir jeweils als Nächstes tun und was uns dann erwartet.

Das, worauf wir aus sind, kann aber auch sehr viele, kompliziert zusammenhängende, bedingte Abläufe erfordern, z.B. wenn wir ein Haus bauen wollen. Da sind dann geradezu unüberschaubar viele Einzelhandlungen auszulösen. Immerhin kann man Fachleute heranziehen, die wissen, wie man das Projekt von der Planung bis zur Übergabe und Abnahme durchführt, so dass man absehbar mit dem fertigen Haus rechnen kann, auf das man aus ist.

Manchmal müssen wir mit unseren Assoziationen aber auch sehr schnell sein. Z.B. muss man in schnellen Ballspielen antizipieren, wohin der Ball geht und der oder die Spieler sich bewegen, damit man überhaupt geeignet, der Absicht entsprechend, agieren kann. Dazu muss man darauf aus sein, die Situation zu lesen und den Gegner auszurechnen, sodass man möglichst frühzeitig weiß, was er in dieser Situation vorzugsweise tut, und was man dagegen selber tun kann, um ihn nicht nur abzuwehren, sondern an einer Schwachstelle anzugreifen. Das heißt, die mitlaufenden Assoziationsmuster unseres Erlebens können reiche Kontexte mitführen und so ggf. sehr effektiv und sehr schnell voraussehend handeln.

Und dann kann man auch noch auf Ziele aus sein, bei denen es unabsehbar ist, ob und wie man sie erreichen kann, z.B. wenn man Karriere machen will. Vielleicht kennt man einige notwendige oder hilfreiche Zwischenziele, vielleicht ergeben sich Gelegenheiten, in denen dieser oder jener Schritt einen dem Hauptziel irgendwie näherbringt. Vielleicht ist ganz offen, wie es weitergehen könnte, und man hat keine andere Option, als die überhaupt verfügbaren Möglichkeiten auszuprobieren. Hier hilft es nur, das Hauptziel und das aktuelle Zwischenziel in den Begriffsprofilen immer so stark gewichtet mitzuführen, dass bei sich unvorhersehbar bietender Gelegenheit möglichst solche Handlungen ausgelöst werden, die einen dem Ziel näherbringen.

So kommt unser Leben überhaupt gegen das Chaos und die Entropie an: wir benutzen eine Art mentale Sperrklinke, die es den "günstigen" Gegebenheiten erlaubt, unser Lebensrad ein Stückchen weiterzudrehen, und die das Zurückdrehen durch die "widrigen" Gegebenheiten sperrt. Weiterdrehen ist gut, Nicht-Weiterdrehen ist schlecht.

Intelligenz und Absichten bilden übrigens einen Engelskreis. Neu-Verstehen kann einem ja auch neue Handlungsmöglichkeiten auf aktuelle Ziele hin eröffnen, sowie auch neue Ziele möglich machen. Und man kann auch die ausdrückliche Absicht haben und verfolgen, trotz fehlender Kontrolle immerhin mehr Möglichkeiten und Chancen des Neu- Verstehens zu schaffen, indem man sich intensiv mit dem in Frage stehenden Begriffsbereich befasst.


Denken als Handeln

Denken beruht auf derselben Struktur wie Handeln. Wie man durch geeignete Gewichtung von Begriffen in den Begriffsprofilen erreichen kann, dass eine Handlung ausgelöst wird, so kann man auch erreichen, dass als man nächstes bzw. mit den nächsten Schritten auf etwas Bestimmtes hin assoziiert, d.h. ein ggf. längerer Denkprozess ausgelöst wird.

Es gibt drei wesentliche Arten von Denken: (1) das einfache, zielgerichtete assoziative Denken, (2) das frei assoziative Denken, und (3) das rationale, d.h. begrifflich scharfe, relationale Denken.


Das einfache assoziative Denken

Das einfache assoziative Denken besteht darin, dass man aus dem, was einem begegnet, Begriffe, Begriffsstrukturen, Begriffsprofile und Assoziationsfolgen bildet, sie im weiteren Erleben erprobt und bewährt, und so ein Verstehens- und Handlungs-Repertoire gewinnt, auf das man so weitgehend vertrauen kann, dass man damit sein Leben bestehen und seine Möglichkeiten erweitern kann.

Dabei ist man normalerweise auf etwas aus. Das frei assoziative Denken ist der Spezialfall, bei dem man auf nichts aus ist, sondern sich "offen" begegnen lässt, was kommt.

Das einfache assoziative Denken beruht, etwas vereinfacht, nur darauf, dass wir zu einem Begriff B1, z.B. Blitz, einen zweiten B2, z.B. Donner, assoziiert haben, und uns, wenn wir auf B1 folgend B2 erleben, damit unsere Assoziation B1->B2 bestätigt sehen. Genauer besehen, spielt sich dasselbe mit Begriffsprofilen ab. D.h.

  1. wir haben zu einem gewichteten Begriffsprofil P1, das mit der aktuell erlebten Situation S1 harmoniert, das nächste, P2, assoziiert,

  2. gleichen dieses P2 mit der nach S1 nächsterlebten Situation S2 ab und (3a) verstärken dementsprechend die Assoziation P1->P2, oder

(3b) schwächen sie ab und fügen dafür P1->P(S2) zu den Assoziationsmöglichkeiten hinzu.


Das rationale Denken

Das rationale Denken funktioniert auf dieselbe Weise über Assoziationsketten wie das einfache assoziative Denken, nur dass wir dabei durchgehend ausnahmslos darauf aus sind, bestimmte Regeln einzuhalten. Diese sind streng relational, d.h. in charakteristischer Weise auf schmale Profile von genau gefassten, definierten Begriffen und Begriffszusammenhängen beschränkt, eben auf Relationen, und auf für Relationen zulässige Zusammenhänge – logische Ableitungen – von Assoziationen. Mitschwingend

sind allenfalls Begriffe davon, worauf man hinaus will oder was man dabei vermeiden will. Das rationale Denken ist geregeltes relationales Denken.

Hinzu kommt, dass es darum geht, ausgehend von bewährten Begriffszusammenhängen neue bewährte oder bewährbare zu finden, man kann auch sagen: von bestätigten Wahrheiten zu weiteren, neuen Wahrheiten zu finden. Dies ist die grundlegende Version des rationalen Denkens, non-verbal und damit etwas umständlich zu beschreiben. Das allgemein vorherrschende, rationale Denken ist verbal, und davon haben wir ein direktes Verständnis mit eingängigen Begriffen: Die Begriffszusammenhänge sind unsere Vorstellungen, und wir fassen sie in formale oder formalisierbare Aussagen oder Behauptungen. Die Regeln für das Fortschreiten der Assoziationen sind die Regeln der theoretischen und praktischen Prädikatenlogik. Als wahr gelten Aussagen, wenn sie (1) objektivierbar, und (2a) beweisbar, oder (2b) falsifizierbar sind, es aber in hinreichend umfassenden Versuchen nicht gelungen ist, sie zu falsifizieren.

Einschub:

Relationen sind hier durchaus im einfachen mathematischen Sinne zu verstehen: eine Relation ist eine Teilmenge einer Produktmenge. Beispiel: Wenn M die Menge aller Menschen ist, dann ist MxMxM eine Produktmenge und besteht aus allen theoretisch möglichen Zusammenstellungen von 3 Menschen (Tripeln), als Menge geschrieben { (m1,m2,m3) m1,m2,m3M }. Die Vater-Mutter-Kind-Relation ist die Teilmenge solcher Tripel, für die die Aussage (das Prädikat P) wahr ist, dass m1 der Vater und m2 die Mutter von m3 sind. Prädikate kann man logisch in Beziehung setzen: aus der Wahrheit des obigen Prädikats P folgt z.B. die Wahrheit der Aussage, dass m1 und m2 älter sind als m3, und andererseits folgt die Wahrheit von P z.B. aus der Wahrheit einer entsprechenden Aussage über einen DNA-Test.


Theorien

Unsere in formale Aussagen oder Behauptungen gefassten Vorstellungen nennen wir Theorien; bzw. Hypothesen, wenn betont werden soll, dass ihre Wahrheit im obigen Sinne noch nicht bestätigt ist.

Theorien sind in unserem allgemeinen Verständnis Strukturen von Gedanken, also mentale Strukturen aus mentalen Objekten. Theorien erlauben es, Begegnendes vorherzusagen. Sie sind entweder beweisbar, oder ihre Brauchbarkeit ist davon abhängig, dass das Begegnende tatsächlich so kommt wie vorhergesagt.

Beweisbar sind: im weitesten Sinne mathematische Theorien. Die Beweise bauen aufeinander auf, haben also einen Anfangssatz von – demnach nicht bewiesenen – Behauptungen, den Axiomen. Im Gegensatz zu den notwendigen Bedingungen im Fall der nicht beweisbaren Theorien sind es hier hinreichende Bedingungen, denen man vertraut.

Dieses Theoriengebäude ist in sich wahr, nicht falsifizierbar, sondern kann allenfalls in der Praxis durch ein neues auf der Basis eines irgendwie besseren Satzes von Axiomen ersetzt werden.

Bei den nicht beweisbaren Theorien ist wesentlich, dass sie wenigstens falsifizierbar sind, dass sie z.B. logische Folgen haben, bei denen man in der Außenwelt unter kontrollierten,

reproduzierbaren Bedingungen beobachten kann, ob diese Folgerungen unter den von der Theorie spezifizierten Voraussetzungen tatsächlich eintreten.

Nicht falsifizierbare Theorien stellen etwas als vorhersagbar hin, dessen Folgerungen von Vornherein prinzipiell nicht beobachtbar sein können, also auch nicht bestätigt werden können. Nicht falsifizierbaren Theorien können also im Sinne des folgenden Abschnitts prinzipiell nicht wahr sein.


Wahrheit von nicht beweisbaren Theorien 1

Logische Folgen sind ja nun mal "notwendige Bedingungen". Wenn es bei erfüllten Voraussetzungen einer Theorie eine einzige Beobachtung gibt, bei der eine einzige notwendige Bedingung dieser Theorie nicht erfüllt ist, dann ist die Theorie damit widerlegt und nicht wahr. Wenn in so vielen einschlägigen Beobachtungsfällen, wie die Menschheit nur zusammenbringen kann, alle notwendigen Bedingungen erfüllt sind, dann ist die Theorie insoweit bestätigt, aber die nächste Beobachtung könnte sie trotzdem widerlegen.

Theorien können also in dem Sinne universell wahr sein, dass im Prinzip jeder Mensch alle Bestätigungen in der Außenwelt nachvollziehen oder auch neue finden könnte. Die Menge aller bewiesenen oder derart bestätigten Theorien macht unser objektives "Wissen" aus.

Dazu gehören auch die Naturgesetze. Diese sind im obigen Sinne wahr, solange ihre Voraussagen eintreten. Sie steuern keineswegs den Lauf der Welt, sondern sagen ihn voraus. Insbesondere ist es nicht so, dass die Fakten von den Naturgesetzen erzwungen würden, sondern die Naturgesetze hängen von den Fakten ab, weil ein einziges widersprechendes Faktum sie widerlegen würde.


Urvertrauen

Dass wir uns trotz nur endlich vieler Erlebnisse auf unser Verstehen, und trotz der nur endlich vielen Bestätigungen auf unser "Wissen" verlassen können und verlassen, beruht auf unserem Urvertrauen, und dieses auf unserer Erfahrung, dass das Begegnende uns nicht an der Nase herumführt, sondern System hat, und zwar in einem hinreichend verlässlichen Maße, das wir einschätzen können. Theoretisches "Wissen" ist also ein überzogener Begriff, weil wir unseren Theorien eigentlich nur aus Erfahrung begründet vertrauen, oder – wenn man so will - glauben.


Wahrheit von nicht beweisbaren Theorien 2

Immerhin glauben wir den Theorien nicht blind, sondern nur dann, wenn wir "selber beobachten" können oder wenigstens könnten, genauer: wenn wir sie über Folgerungen auf etwas grundlegender Wahres zurückführen können: auf das, was wir selbst im Bereich unserer Außenwelt wahrnehmen können. Unser "Wissen" ist solange wahr, wie es nicht von unseren Wahrnehmungen in der Außenwelt widerlegt wird, und es ist dadurch immer nur eingeschränkt bestätigt, weil wir ja immer nur endlich viele entsprechende Wahrnehmungen zusammenbringen.

Die Welt ist mental

Oben haben wir unsere individuelle Welt schon als die Gesamtheit aller Assoziations- strukturen definiert, die wir persönlich leben können.

Die Welt kann man dann als die Gesamtheit aller von Menschen prinzipiell lebbaren Assoziationsstrukturen definieren.

Das ist nicht das, was die Menschen im Allgemeinen mit "Welt" meinen: "die objektive Welt des Seienden, die außerhalb von uns und unabhängig von uns besteht".

Zunächst ist festzuhalten, dass die Außenwelt der Bereich ist, den wir als Einzugsbereich der Wahrnehmungen unserer Sinne bestimmt haben. Die zugehörigen Begriffe begegnen uns in der Gedankenwelt und gehören also nicht zur Außenwelt, ebenso wie jegliche Assoziationsstrukturen von Begriffen überhaupt. Schon die Bestimmung, dass da einerseits Sinne seien und andererseits Objekte, von denen die Sinne Reizmuster empfingen, ist eine begriffliche Konstruktion, also Theorie und keineswegs primär. Uns begegnen Begriffe, und dann erfinden wir hinzu, hinter den Begriffen "sei" etwas außerhalb und unabhängig von uns. Wir gehen sogar noch weiter: Um Zusammenhänge in der Außenwelt zu erklären, konstruieren wir z.B. Bausteine der Materie wie Moleküle, Atome, Elementarteilchen, usw. Wir konstruieren auch Quasare, Gene, die Psyche, Julius Caesar. Das sind Begriffe, die uns von vornherein nicht in der Außenwelt begegnen könnten. Dass wir sie uns als in der Außenwelt seiend vorstellen und diese damit erweitern, ist eine vielfach nützliche Konstruktion. Philosophisch führen wir uns damit allerdings selbst in Irre. Theorieobjekte existieren nicht in der eigentlichen Außenwelt, nämlich der Sinnenwelt, sondern nur in der Gedankenwelt, einem Teil der Innenwelt.


Sprache

Wir haben nun gesehen, dass wir die Welt als System statischer und dynamischer, assoziativer Begriffsstrukturen bestimmen können, die wir vorwiegend verbal fassen.

Ein sehr bedeutsamer Zusammenhang ist der zwischen einem Begriff und dem Wort dafür. Beide sind mentale Objekte und so direkt miteinander assoziiert, dass wir sie geradezu als dasselbe nehmen.

Wörter sind eigenständige Begriffe. Das Wort "Haus" hat keinerlei Attribute von Häusern. Mit einem Wort fest assoziiert sind seine phonetischen Repräsentationen, die man sprechen und hören kann, schriftliche Repräsentationen, die man schreiben und lesen kann, und Handlungsmuster zum Sprechen und Schreiben des Wortes. Vergleichsweise lose assoziiert mit einem Wort sind die Begriffe, die es "bedeutet". Zum Wort "Haus" fällt einem immer gleich ein typisches Haus ein, aber es gibt "unendlich" viele Arten von Häusern, für die das Wort ebenso treffend ist oder noch durchgeht. Meist ist der mit dem Wort assoziierte Begriff nicht eindeutig definiert, sondern es gibt viele gleichermaßen assoziierte Begriffe, d.h. Wörter sind normalerweise Breiwörter, die vielerlei Begriffen assoziiert sein können.

Sprache ist wesentlich für das rationale Denken und die Kommunikation seiner Inhalte, hier aber vorzugsweise formalisierte Sprache mit eindeutig definierten Wortbedeutungen

und zugeordneten Begriffen. Bereichsweise sind formale Sprachen in Gebrauch, mit definierten eigenen Symbolen und Grammatiken, z.B. die mathematische Formelsprache oder die Sprache für chemische Substanzen und Reaktionen.

Sprache verwenden wir aber ebenso für die Kommunikation einfach assoziativen Denkens. Dann folgen die Wörter einfach den Assoziationen, und eventuell spielt die Reihenfolge gar keine Rolle, etwa bei der Beschreibung von Situationen mit vielerlei Eindrücken und Wirkungen. Bei poetischen und allgemein im übertragenen Sinne gemeinten Wortfolgen muss man ggf. die Wortbedeutungen und / oder Modi ignorieren, wie z.B. bei der Rede von den Schmetterlingen im Bauch.


Die wachsende Welt

Rekapitulieren wir: Unsere individuelle Welt besteht aus bewährten, statischen und dynamischen, assoziativen Begriffsstrukturen, die wir verstehen können und als Handlungsfolgen ausführen, d.h. die wir leben können.

Diese Welt ist vor allem geradezu unüberschaubar riesig.

Dies verdanken wir einerseits der Intelligenz, andererseits der Sprache und der damit möglichen Kommunikation von Assoziationsstrukturen und, besonders und in weit höherem Maße der Kommunikation von rationalem Denken und Wissen.

Intelligenz haben wir oben schon definiert als bewährendes Neu-Verstehen. Damit wächst unsere Welt, und zwar sowohl hinsichtlich neuen, positiven Wissens und Könnens, als auch hinsichtlich Wissens zur Vermeidung von Irrigem und ungeeigneten Handlungen.

Eine wichtige Strategie, neues Verstehen zu gewinnen, ist, zu schauen und zu imitieren bzw. zu vermeiden, was andere Menschen machen und wie. Das kann bereits jedes Kleinkind und kommt damit schon gehörig voran, bevor es sprechen kann. Aber auch der Erwachsene lernt vom Chef etwas darüber, wie man eine Gruppe gut oder schlecht leitet, ohne dass der das mit Worten erklärt.

Den entscheidenden Schub aber bringt die Sprache. Die erste Lernstufe des Kindes dabei ist, die Wörter der Erwachsenen nachzusprechen und mit den eigenen Begriffen zu verbinden. Dann lernt es – mit viel Korrektur-Feedback – die Wortverbindungen der Erwachsenen und baut daraus die Assoziationen seiner eigenen Begriffe. So übernimmt das Kind die offenbar bewährten und vertrauenswürdigen, aber auch die zu vermeidenden Assoziationsstrukturen, d.h. die entsprechenden Welt-Konstruktionen der Eltern und anderer Vorbilder, und konstruiert so wichtige Teile seiner individuellen (zunächst: Außen-) Welt.


Kollektivierung, Kultur, die objektive Welt

Diese "Nachbautechnik" vermittels der Sprache steht einem sein ganzes Leben lang zur Verfügung. Aus der ganzen Umgebung – von den unmittelbaren Mitmenschen wie auch von den Menschen aller Zeiten, z.B. durch ihre Bücher – kann man ständig erfahren, wie dies und jenes zusammenhängt, wie man es verstehen und daraufhin handeln kann, und das dann in sein eigenes Verständnis und seine eigenen Verhaltensoptionen aufnehmen.

Wenn das genügend viele tun, dann wird dadurch ein kollektives Verständnis- und Verhaltensrepertoire verbreitet, vorherrschend und fortgeschrieben: eine Kultur.

In überschaubaren Gruppen oder begrenzten Bereichen kann man mit anderen Menschen ggf. wechselseitig sehr viele Assoziationsmuster und Ausdrucksweisen nachvollziehen und deshalb mit den Gruppenmitgliedern im Horizont der Gruppe harmonieren.

Damit die Kultur universell funktioniert, kann sie durch ständige Absprachen objektives Verstehen entwickeln, d.h. Wissen bestehend aus Theorien, die im Prinzip jeder Mensch als wahr nachvollziehen kann. So entstehen durch Kollektivierung die objektive Welt und eine globale Kultur.

Die Bedingungen für die Nachvollziehbarkeit von Theorien sind:

  1. Die Assoziationen zwischen den Wörtern der Theorien und ihren zugehörigen Begriffen, einschließlich Begriffen für Relationen, müssen verbal und eindeutig definiert sein.

  2. Die Regeln für die Ableitung von Folgerungen aus den Theorien müssen verbal definiert und formal eindeutig gefasst sein.

  3. Die Assoziationen zwischen den Wörtern, Begriffen und Phänomenen der Außenwelt, anhand derer die Folgerungen durch Beobachtung bestätigt werden könnten, müssen ebenso verbal definiert und formal eindeutig gefasst sein.

    Objektivität heißt Nachvollziehbarkeit im Prinzip für alle Menschen, und kann nur basierend auf Wissen und nur mit begrifflich-relationaler Kommunikation aufgebaut und erhalten werden.

    Ebenso kann eine Kultur Verhalten durch – geschriebene oder ungeschriebene – Ethik- Konventionen und Gesetze regeln, und damit ein kollektives bzw. objektives Verhalten und Unterlassen definieren und durchsetzen, auf das sich alle Mitglieder als Handelnde und Betroffene normalerweise verlassen können.

    Um seine Welt zu bauen, ist man also nicht nur auf seine eigene Intelligenz eingeschränkt und müsste, womöglich alles bei Null beginnend, selbst erlebend neu ausprobieren, sondern man profitiert von der kollektiven Intelligenz der Kultur.

    Seit der Erfindung des Buchdrucks und erst recht seit der Verfügbarkeit der globalen Kommunikation ist das nicht nur auf die unmittelbar umgebende Kultur beschränkt, sondern erstreckt sich – insoweit die Globalisierung funktioniert – prinzipiell über alle Kulturen.

    Faktisch gibt es dabei trotzdem Einschränkungen. Kulturen sind in vieler Hinsicht nicht gelenkt, und so werden auch immer neue Verständnis- und Verhaltensrepertoires konstruiert, mit denen sich eine Kultur weiter entwickeln kann. Die Reichweite dieser Entwicklungen ist einerseits natürlich beschränkt, andererseits auch absichtlich, etwa durch Urheberrechte und Patente, oder durch politische Verhältnisse. Es entwickeln sich lokale oder auf bestimmte Milieus begrenzte Subkulturen, die sich durch unvereinbare Repertoires unterscheiden und ggf. abgrenzen, und damit auch den Zugang zu anderen

    Repertoires innerhalb der Gesamtkultur einschränken und die Nachbaumöglichkeiten mindern.

    Zum Schluss dieser Betrachtung sei hier noch einmal betont, weil es eher niemand auf dem Schirm hat:

    Die Welt ist gewachsen und wächst. Alle tragen dazu bei, indem sie dank ihrer Intelligenz neue Lebensmöglichkeiten erfinden, bewähren und kommunizieren, und indem alle das so Bewährte übernehmen und darauf aufbauend wiederum neue Lebensmöglichkeiten hervorbringen.

    Wachstum der individuellen Welt ist ein Grundzug des individuellen Daseins, die gegenseitige Förderung des Wachstums der Welt ein Grundzug des kollektiven Daseins von Mehreren, bzw. beliebig Vielen.

    Für den Einzelnen übersetzt: Wachstum der Welt heißt Lebensmöglichkeiten mehren. Darauf aus zu sein, bei sich selbst und anderen, ist gut. Nicht darauf aus zu sein, ist nicht im Einklang mit dem Dasein, d.h. unselig.

    Der Sinn des Daseins ist, Leben zu mehren – Lebensmöglichkeiten und tatsächlich Gelebtes.


    Das Dasein

    Bis hierher sind wir nun schon einen ziemlich langen Weg gegangen: am, und in der Nähe des Grundes des Daseins, und wir haben eine ganze Menge Struktur gefunden. Wir konstruieren unsere Welt als Struktur und können sie kommunizieren. Andererseits können wir "sehen", dass unser Dasein darin besteht, dass uns etwas begegnet. Und wir können sehen, dass das absolut so ist, ohne Begründung, und unabhängig von den Inhalten und Strukturen unserer diversen Welten und der Welt.

    Dasein ist etwas Anderes als Welt. Welt ist konstruiert, begrifflich, relational. Dasein ist primär, von vornherein, unbegrifflich, absolut. Die Zugänge zu Dasein bzw. Welt sind unvereinbar.

    Das muss gewichtige Konsequenzen haben, und um die herauszuarbeiten, fassen wir unsere bisherigen Ergebnisse noch einmal kompakt zusammen:

    Das Dasein besteht darin,


Dasein ist kein Begriff

Das Obige sieht zwar aus wie eine Struktur des Daseins. Das, wofür die dabei verwendeten Wortfolgen stehen, ist allerdings nicht zu fassen. Von der Instanz, der etwas begegnet, wissen wir, dass wir sie irgendwie selbst sind, aber sie begegnet uns nicht, und es gibt nichts, das wir darüber aussagen könnten. Ebenso begegnen uns keinerlei Quelle und keinerlei Kanal, von der, bzw. über den, das Begegnende zu uns kommt, und das bedeutet auch noch, dass man nicht sagen kann, woher die offensichtliche Systematik im uns Begegnenden kommt.

Das Dasein können wir uns nicht vorstellen, denn es begegnet uns ja nicht. Wir wissen nur, dass wir "da" sind, und dass das absolut so ist, wie es ist.

Aus Theorien kann man Manches ableiten, aber keine Grundzüge des Daseins, denn sonst wären es nun mal keine Grundzüge. Abgeleitetes kann kein Grundzug sein. Es kann keine Theorie des Daseins geben, keine Theorie von dem, was vor allen Theorien ist.


Die Rede vom Dasein …

Wenn wichtige Gegebenheiten des Daseins nicht fassbar sind, weil sie uns gar nicht begegnen, und wenn das Dasein keine begriffliche Struktur hat, dann stellt das unsere gesamten obigen Ausführungen in Frage. Können sie in irgendeinem Sinne wahr sein? Wie kann man treffend über das Dasein reden?

Auf diese Fragen sind wir schon ganz gut vorbereitet. Wir haben oben schon das einfache assoziative Denken und die entsprechende assoziative Rede behandelt. Man ist dabei nicht auf rationale, relationale Begriffsstrukturen eingeschränkt, schon gar nicht auf objektiv wahre. Und so kann man diese Rede gezielt für die Kommunikation über das Dasein einsetzen, indem man mithilfe der gewöhnlichen, uns verfügbaren Worte beim Empfänger Assoziationen auszulösen versucht, die ihn an das eigentlich nicht fassbare Gemeinte heranführen und es ihm irgendwie "in den Blick" bringen.

Wenn man die Instanz, der im Dasein etwas begegnet, nicht zu fassen kriegt, dann kann man von Ich oder Selbst oder – zur Abgrenzung vom Ego – vom Eigentlichen Selbst reden, aber auch vom inneren Auge, und damit rechnen, dass es andere Menschen es bei sich auch so kennen. Oder wenn man sieht, dass das im Dasein Begegnende verlässlich System hat, ohne dass man weiß woher, aber so dass man darauf sein Leben aufbauen und daran wachsen kann, dann kann man davon reden, dass das Begegnende so ist, wie wenn es von einem begrifflich nicht fassbaren, aber wohlwollenden Schöpfer kommt. Und dann kann man wie bei der Poesie darauf hoffen, dass andere Menschen das auch so sehen können.

… als annähernd zeigende Rede

Solche annähernd zeigende Rede mittels freier, aber gezielter Assoziationen ist das Mittel der Wahl für Kommunikation über begrifflich nicht Fassbares, Absolutes, Außerweltliches. Sie besteht aus Wortfolgen, kann daher oft aussehen wie begrifflich-relationale Rede und also damit verwechselt und auch noch als begrifflich-relational wahr oder falsch eingestuft werden. Das verfehlt den "Wahrheitsanspruch" der annähernd zeigenden Rede. Sie ist immer mit dem Präfix "es ist, wie wenn" zu denken, und sie funktioniert, wenn der Empfänger das Gemeinte auch so "sieht". Annähernd zeigende Rede ist daher logisch nicht belastbar, man kann sie nicht begründen oder etwas daraus folgern, man kann sie nicht beweisen oder widerlegen. Bestenfalls kann man sie durch eine besser zeigende Rede ersetzen.

Wenn die Unterscheidung zwischen der annähernd zeigenden, frei-assoziativen Rede und der begrifflich-rationalen Rede so wichtig ist, wie kann man sie dann sicher unterscheiden?

Ein Beispiel:

Die Wortfolge "Die Decke fällt mir gleich auf den Kopf" verstehen wir mühelos als frei- assoziativ: dass der/die Betreffende irgendwie fühlt, es zu Hause nicht mehr auszuhalten.

Wenn die Rede aber so weitergeht: "Sie hängt schon durch. Das muss sich ein Statiker ansehen", ändert sich unmittelbar das Verständnis: Es gibt eine Begründung und eine Folgerung, d.h. Begriffsbeziehungen. Der Satz mit der Decke auf den Kopf ist dann nicht mehr frei-assoziativ, sondern strukturell, begrifflich-relational.

Hiermit haben wir also ein Unterscheidungskriterium zwischen frei-assoziativer und begrifflich-relationaler Rede. Eine Einbettung in logische Zusammenhänge erweist sie direkt als begrifflich-relational.

Fassen wir zusammen:

Die Diagnose dieser wenigen Symptome sollte erkennen lassen, wie sehr Sein und Zeit im Innerweltlichen fixiert bleibt und damit das Dasein völlig verfehlt.


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